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Regensberg – mörderisch gut unterwegs

Ethische Auftragskiller

Man nannte ihn Kärcher, weil er sauber arbeitete, zuverlässig und ohne Spuren zu hinterlassen.
Natürlich hatte er sich jedes Wort gut überlegt, bevor er zum Telefonhörer griff und zwei Münzen in das Publifone warf.

«Komische Nummer, das kannst nur du sein», meldete sich Ackermann.
«Wir haben einen Job, treffen uns morgen Punkt 12 auf der Burg in Regensberg, Zürcher Unterland. Du fährst am besten mit der Bahn und das letzte Stück mit dem Bus.»
«Für was hab’ ich ein Auto? Und ein Navi?»
Kärcher seufzte.
«Um wen geht es denn?»

«Erfährst du vor Ort.» Kärcher diktierte noch die Telefonnummer, unter der er zu erreichen war, liess sie zweimal wiederholen und legte dann auf. Das musste reichen, schliesslich war Ackermann ein Profi.
Und zwar einer, der wie Kärcher dem Verband der ethischen Auftragskiller angehörte. Dessen Mitglieder nahmen einen Job nur an, wenn das Opfer selbst Menschenleben auf dem Gewissen hatte.
Ackermann hingegen hatte seit einiger Zeit auch Jobs angenommen, bei denen er nicht einmal den Strafregisterauszug der Opfer gecheckt hatte. Sondern nur seinen eigenen Kontoauszug.
Also hatte der Verband der ethischen Auftragskiller in einer Geheimsitzung beschlossen, Ackermann loszuwerden.
Nein, nicht durch Ausschluss aus dem Verein.
Sondern durch Ausschluss aus dem Leben.

Kärcher nahm das Schweizer Kursbuch 2018 zur Hand. Zwar hatte die SBB das Kursbuch 2017 eingestellt, aber der VCS hat es trotzdem wieder drucken lassen. Noch so ein Verband, der sich für ein besseres Miteinander einsetzte, genau wie sie.

Natürlich existierte schon lange eine App, um in Sekundenschnelle die richtige Verbindung zu finden, aber ein Auftragskiller mit einem Handy liess sich damit eben auch in Sekundenschnelle orten.
Kärcher hatte Regensberg bewusst gewählt. Ein schönes Städtli, keine 500 Einwohner, wurde sogar einmal nominiert als schönstes Städtchen der Schweiz. Dennoch hielten die Touristenströme sich in Grenzen. Und das war wichtig für das Gelingen seines Auftrags.

Kärcher stieg in Zürich-Oerlikon in die S15 Richtung Niederweningen, die er exakt 15 Minuten später in Dielsdorf wieder verliess. Dort stand schon der Bus 593 der VBG bereit, der ihn in komfortablen 7 Minuten nach Regensberg brachte. Pünktlich um 11:27 stieg Kärcher in der Nähe des Schlosses aus.

Eine halbe Stunde noch. Natürlich hatte er sich Regensberg zuvor angeschaut, hatte jeden Winkel erkundet und sogar die einzige Telefonkabine ausprobiert. Das Publifone war im Erdgeschoss eines Hauses eingepfercht, gelb gekachelt wie ein Pissoir, funktionierte aber trotzdem.
Noch, denn bis Ende 2018 wurde die Kabine geschlossen, wie fast in der gesamten Schweiz. Der Bundesrat hatte so entschieden, aber die ethischen Auftragskiller ohne Smartphone hatten sie mal wieder nicht gefragt!

Kärcher ging in Position. Jetzt unter der Woche waren nur wenige Touristen vor Ort und jene, die da waren, würden gleich zum Mittagessen in einem der heimeligen Restaurants verschwinden.
Kurz vor zwölf klingelte es in der Telefonzelle. Kärcher nahm ab.
«Ich bin gleich da», sagte Ackermann. «Ich such nur noch einen Parkplatz.»
Eine Stunde später war von Ackermanns blondierter Dauerwelle immer noch nichts zu sehen.
Dafür klingelte es noch mal in der Telefonzelle. «In Regensburg gibt es keine Burg!», rief Ackermann. «Oder meinst du das Schloss?»
«Sag bloss, du bist nach Bayern gefahren? Liegt das etwa im Zürcher Unterland? Du musst nach Regensberg!»
«In meinem Navi steht aber Regensburg.»
«Weil du es falsch eingegeben hast!» Kärcher seufzte und schlug sein Kursbuch auf, das er für solche Eventualitäten stets mit sich führte. «Warte mal, ich such dir die beste Verbindung raus.»
«Vergiss es, mein Navi sagt, in fünf Stunden bin ich da.»
«Bahn und Bus verfahren sich nicht.»
«Sag mal, hältst du mich für zu blöd, ein Navi zu benutzen?»
Anstatt zuzustimmen, seufzte Kärcher nur. «Also gut, hör zu, wir treffen uns um 21 Uhr hier, dann hast du genügend Luft.»

Kärcher setzte sich in die Krone, ass dort zu Mittag und weil es so gut gewesen war, später auch zu Abend. Dazwischen spazierte er ein wenig herum. Wahrlich, er hatte ein schönes Örtchen ausgesucht, Ackermann würde sich nicht beklagen können.

Natürlich war der um Neun immer noch nicht zu sehen. Dafür klingelte es wieder in der Telefonzelle. «Mann, war das ein Stau», seufzte Ackermann. «Aber jetzt bin ich gleich da, muss noch einen Parkplatz suchen.»

Fünfzehn Minuten später kam Ackermann endlich, machte noch sein übliches Victoryzeichen und blickte sich um. «Och, das ist ja schön hier.»
Das waren seine letzten Worte, dann sank er danieder mit einem Loch in seinem Kopf.
Kärcher stieg in den Bus 593 nach Dielsdorf und dort wieder in die S15 Richtung Zürich. Gerade als der Zug losfuhr, schossen mehrere Autos der Kantonspolizei die Niederhaslistrasse Richtung Regensberg entlang.
Selbst wenn sie dort sofort einen Parkplatz fanden, würden sie ganz bestimmt zu spät kommen.
Im Gegensatz zu ihm.

 

Dies ist eine von 25 «Gute-Fahrt-Geschichten» rund um die Gemeinden des VBG-Marktgebiets. Die Texte wurden von verschiedenen Schweizer Autorinnen und Autoren zum 25 jährigen Bestehen der VBG verfasst und sind unter dem Titel «Unterwegs» auch in Buchform erschienen.

(Die in den Texten geäusserten Meinungen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der VBG. Teilweise sind die Geschichten auch frei erfunden.)

#Gute-Fahrt-Geschichten
Thomas Kowa

Thomas Kowa ist Autor, Poetry-Slammer, Musikproduzent und manchmal Weltreisender. Während in seinen Thrillern fleissig gestorben werden darf, ist es ihm in seinen absurd-komischen Romanen trotz mehrfacher Versuche noch nicht gelungen, jemanden umzubringen.

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